Zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. Bernd Lingelbach
Optische Täuschungen gehören wohl zu den „Wundern“ unserer Welt. Sie bleiben schön und faszinierend, selbst wenn man sie nicht erklären kann. Bernd Lingelbach ist ohne Zweifel der Experte in Deutschland, wenn es um optische Täuschungen und Wahrnehmungsphänomene geht. Ende April feierte er seinen 80. Geburtstag.
Optik und optische Phänomene faszinierten ihn schon als jungen Physikstudenten an der Philipps-Universität Marburg, wo er bereits 1967 eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft bei Prof. Hans Wolter fand, dessen Wolter-Spiegel heute im Weltall Röntgenstrahlen fokussieren und dessen Wolter-Ellipsen einen eleganten Zugang zur Bewertung von Farbfiltern, Sonnen- und Sportbrillen bieten. Nach dem Diplom in Physik zog es Lingelbach in die Physiologie zu Prof. Franz-Josef Haberich, um mehr über die Gesetze des Sehens zu lernen. Im Anschluss an die Promotion zur „Wahrnehmung von Kontrasten“ erhielt er 1982 ein post-doc-Stipendium, das ihn ein Jahr lang nach Berkeley, Kalifornien, führte. Die Zeit dort bei Prof. Russell L. DeValois, einem ausgewiesenen Experten im Bereich der Farb- und Raumwahrnehmung, hat ihn entscheidend geprägt. Wieder zurück in Marburg entstanden weitere Arbeiten zu zahlreichen optischen Phänomenen, die auch heute noch aktuell sind. Von 1985 bis zu seinem Ruhestand 2008 wirkte er als Professor an der damaligen Fachhochschule und heutigen Hochschule für Technik und Wirtschaft Aalen, deren Studiengang Augenoptik er mitbegründet und entscheidend geprägt hat. Hier entstanden zahlreiche Forschungsarbeiten in den unterschiedlichsten Bereichen sowie über 100 Qualifikationsarbeiten. Durch tatkräftigen Einsatz von Lingelbach gelang es, 1997 in Chile einen Studiengang Augenoptik nach dem Aalener Modell an der Universität in Valparaíso zu gründen. Seitdem haben viele Studierende aus Aalen und auch aus Valparaíso die Möglichkeit wahrgenommen, für jeweils ein Semester an der Partneruniversität zu studieren. Seit Ende der 90er-Jahre widmet sich Bernd Lingelbach, als einer der ersten Hochschullehrer im Bereich der Augenoptik, vermehrt auch dem Thema „Sportoptik“. So entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Sportmedizin der Ruhr-Universität-Bochum (RUB), u.a. grundlegende Arbeiten zum „(Farb-)Filtereinsatz im Sport“, die auch internationale Würdigung erzielten. Seit seiner Pensionierung widmet sich Lingelbach nun ganz seiner Leidenschaft: „Lingelbachs Scheune – Optische Phänomene“. Aus der Scheune seines alten Bauernhauses in Leinroden ist ein wahres Schmuckstück geworden, angefüllt mit einer weltweit einmaligen Sammlung optischer Phänomene, mit Ames-Raum, schiefem Raum, Hexenschaukel, Camera obscura und über 100 kleineren Objekten und Postern, die durch optische Täuschungen verblüffen. Die Attraktivität und Einmaligkeit von „Lingelbachs Scheune“, inzwischen eingetragener Verein mit vielen Freunden, Förderern und Mitgliedern, hat mehrfach auch mediale, vor allem aber wissenschaftliche Anerkennung gefunden. Davon zeugen auch zahlreiche Film- und Fernsehbeiträge. Einige neue Muster und Effekte sind übrigens in Leinroden selbst entdeckt worden. Insbesondere das Szintillations- oder Blitzgitter, das heute weltbekannt ist.
Unterstützt durch den Förderverein „Lingelbachs Scheune – optische Phänomene e.V.“ ist, neben einem Postkartenset, inzwischen auch eine Wanderausstellung mit ausgewählten Ausstellungsstücken, Plakaten und Informationen für alle möglichen Veranstaltungen und Jubiläen entstanden, um auch außerhalb der Scheune Besucher*innen für die faszinierende Welt der Wahrnehmung, Optik und Augenoptik begeistern zu können. Der „Waldwipfelweg“ im Park in Sankt Englmar (Bayern), gespickt mit optischen Täuschungen aus Leinroden und Ideen von Bernd Lingelbach, ist sicher ein weiteres Highlight.
Die weitere Aufzählung seiner zahlreichen Aktivitäten und Verdienste würde sicher den Rahmen sprengen. Statt dessen möchte ich hier noch ein paar persönliche Worte anschließen. Als ich vor nun über 25 Jahren Bernd Lingelbach anlässlich einer Studie zur Farbfilterwirkung, die wir an der RUB planten, auf der Optica 1997 in Köln ansprach, um vorab ein paar offene Fragen direkt mit dem Experten in Sachen (Farb-)Filter in der Augenoptik zu klären, begegnete ich einer Persönlichkeit, die mir als damals noch jungem Wissenschaftler von Anfang an Wertschätzung, brennendes thematisches Interesse, Bereitschaft zu fachlicher Unterstützung und herzliche Zugewandtheit entgegenbrachte.
Aus der anfänglichen Hochachtung vor dieser „Instanz“ der deutschen Augenoptik entstand sehr schnell eine intensive, bis heute andauernde, Zusammenarbeit bei unzähligen Forschungsarbeiten, Entwicklungen, Labor- und Feldstudien sowie Fort- und Weiterbildungen auf nationaler und internationaler Ebene im Themenfeld „Sehen und Sport“. Bereits im Jahr 2000 entstand so die erste gemeinsame Publikation mit dem Titel „Veränderung der visuellen Leistungsfähigkeit durch sportliche Aktivität am Beispiel der Sehschärfe“, der bis heute über 50 weitere nationale und internationale Arbeiten folgten. Hervorzuheben sind hier sicher die Arbeiten zur Filterwirkung/-entwicklung im Ski- bzw. Schneesport.
Bernd Lingelbach war dabei über all die Jahre hinweg ein enger Wegbegleiter, der für unsere gemeinsame Sache, die Sportoptik und Sinnesphysiologie „brennt“, andere dafür begeistern und mitreißen kann. Und sich dabei immer die wissenschaftliche und auch kindliche Neugierde bewahrt hat.
Durch unsere vielen gemeinsamen Aktivitäten, die zahlreichen gemeinsamen Feldstudien im In- und Ausland, bei denen neben dem wissenschaftlichen Interesse immer auch der Spaß sowie gutes Essen und Trinken im Fokus standen, ist eine enge freundschaftliche Verbundenheit entstanden.
All dies hat auch meinen wissenschaftlichen, vor allem aber persönlichen Weg maßgeblich mitgeprägt! Danke, lieber Bernd!
PS.: Wer Bernd Lingelbach kennt, weiß, dass er es nicht mag „im Mittelpunkt“ zu stehen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass er lieber regelmäßig den Geburtstag von Carl Friedrich Gauß (Mathematiker, Astronom, Geodät und Physiker) feiert, der sich am gleichen Tag bereits zum 246. Mal gejährt hat, als seinen eigenen.
Insofern ist es folgerichtig, dass als Titelbild für die Einladung zum Scheunenfest am 15. Juli 2023 in Leinroden eine Bild-Kollage „Bernd Gauß“ erstellt wurde (siehe Bild).
Beim jährlichen Scheunenfest, das inzwischen wahren Kultstatus erlangt hat, sollen nicht nur aktuelle Themen in Vorträgen von hochkarätigen Experten aus Wissenschaft, Kunst u.a. praxisnah vermittelt werden, sondern v.a. auch der Spaß am eigenen Erleben von Wahrnehmungsphänomenen und der kollegial-freundschaftliche Austausch im Vordergrund stehen.
Dr. Gernot Jendrusch, Lehrstuhl für Sportmedizin und Sporternährung, Ruhr-Universität Bochum