Bei 10 von den zwölf Kanten des Würfels sind Verlauf und Lage eindeutig – doch wie sieht es bei den beiden anderen aus?
Betrachtet man den Würfel nur flüchtig, ist nichts
Ungewöhnliches an seiner Konstruktion zu erkennen. Bei näherer Betrachtung allerdings stößt man auf einige Ungereimtheiten: Der rechte hintere Balken scheint im oberen Teil des Bildes plötzlich vor dem oberen Querbalken zu verlaufen, was schlichtweg unmöglich scheint.
Und doch sagt uns die Wahrnehmung, dass dieses Objekt so vor uns steht!
Nimmt man einzelne Bildausschnitte unter die Lupe, erscheinen diese logisch und realistisch (siehe unten: Bilder A + B). Bei dem Versuch, die einzelnen Bildkomponenten zu einem sinnvollen Gesamtbild zusammenzufassen, sträubt sich unser logisches Denken zwar gegen die Wahrnehmung, kommt jedoch nicht gegen sie an – die Szenerie kann nicht anders wahrgenommen werden. Die Folge daraus ist, dass man als Betrachter beginnt, nach einer logischen Erklärung für diese Wahrnehmung zu suchen.
Des Rätsels Lösung erkennt man bei seitlicher Betrachtung des Würfels: In der vorderen oberen Kante ist ein schmaler Spalt, der für die Beobachtungsentfernung genau der
Breite des hinteren rechten Balkens entspricht. Dieser ist durch den Spalt sichtbar und scheint so vor dem Querbalken zu verlaufen.
Die Wahrnehmung gewichtet hier die scheinbare Verdeckung – die zu den sekundären Tiefenmerkmalen zählt – stärker als die Perspektive, das räumliche Sehen (Stereosehen) und andere Tiefenmerkmale, um auf die Lage des Objektes zu schließen.
Autor: Prof. Dr. Bernd Lingelbach